Parodontitisbehandlung in der Zahnarztpraxis Andreas Hager, Burbach

Parodontitis – eine verharmloste Volkskrankheit

Wenn man zufällig zu dem Thema Parodontitis miteinander ins Gespräch kommt, kann man oft hören, dass das ja vollkommen normal sei. Das Zahnfleischbluten, das unangenehme Heiß-Kalt-Empfinden, das geschwollene Zahnfleisch, die „längeren Zähne“ mit zunehmendem Alter und schließlich der totale Zahnverlust, wenn man ein bestimmtes Alter überschritten hat.

„Falsch“, sagen wir. „Daran ist nichts normal. Es sei denn, man würde eine großflächige Entzündung irgendwo auf dem Körper, die nicht mehr heilt, ebenfalls als vollkommen normal bezeichnen“. Was aber niemand tun würde.

Grund für uns, das Thema „Parodontitis“ einmal näher zu betrachten und eine kleine Blog-Serie aus insgesamt fünf Artikeln dazu zu erstellen.

Blau gedruckt ist das Thema des Artikels, den Sie gerade lesen:

  • Ursachen der Parodontitis, Teil 1: Entzündung durch Infektion
  • Ursachen der Parodontitis, Teil 2: Knochenabbau ohne Entzündung
  • Behandlung der Parodontitis, Teil 1: Entzündung beseitigen
  • Behandlung der Parodontitis, Teil 2: Knochenabbau stoppen
  • Erhaltungstherapie: Vermeidung einer erneuten Parodontitis und weiteren Knochenabbaus

Ursachen für Parodontitis oder Parodontose, wie der Volksmund gerne sagt

Mikroorganismen: gut oder schlecht? 

Lassen Sie uns mit den „Außenflächen“ des Menschen anfangen. Dazu zählen die Haut als größtes Organ des Körpers und der gesamte Verdauungstrakt – also alle Oberflächen des Mundes, der Speiseröhre und des Darms bis zu seinem Ausgang.

Diese Außenflächen werden bei jedem von uns ab der Geburt dicht mit Bakterien und anderen Kleinstlebewesen besiedelt, ohne die wir gar nicht leben könnten. Die Bakterien sind nicht nur wesentlich an unserer Verdauung beteiligt, sie beeinflussen durch ihre Stoffwechselprodukte (z.B. Milchsäure, Hormone, Enzyme, Antibiotika) auch das Immunsystem, die Knochen, Lunge, Herz und sogar das Gehirn.

Betrachtet man die Anzahl der Zellen, dann besteht ein Mensch zu 90% aus Bakterienzellen und nur zu 10% aus menschlichen Zellen!

Macht man sich das einmal bewusst, dann wird schnell klar, dass es für uns Menschen sehr wichtig ist, eine möglichst komplexe und damit stabile Zusammensetzung an Bakterienstämmen zu beherbergen. Gerät diese Zusammensetzung aus dem Gleichgewicht, dann drohen chronische Erkrankungen.

Einseitige Ernährung, unkontrollierte Antibiotika-Einnahmen und übersteigerte Hygienemaßnahmen begünstigen ein bakterielles Ungleichgewicht.

Ist dieses System im Gleichgewicht, dann hat unser Immunsystem wenig Arbeit mit den körpereigenen Bakterien und kann sich gut um andere Probleme kümmern, die eventuell auftauchen.

Ist das System aber im Ungleichgewicht und bekommen schädliche Bakterien mehr und mehr die Oberhand, dann ist unser Immunsystem stark damit beschäftigt, unser Körperinneres gegen die schädlichen Keime abzugrenzen.

Somit stehen wenige Reserven für die Bekämpfung anderer gesundheitlicher Probleme zur Verfügung.

Mikroorganismen und Parodontitis

Auch unser Mund ist dicht mit Bakterien besiedelt und das ist völlig in Ordnung. Bei der Frage, wie eine entzündlich bedingte Erkrankung –eine Parodontitis – entstehen kann, spielen hauptsächlich drei Dinge eine große Rolle:

  • Die Zusammensetzung der bakteriellen Arten im Mund
  • Die Möglichkeiten für Bakterien, sich an den Zähnen festzusetzen und zu organisieren
  • Die Reaktion unseres Immunsystems auf die bakterielle Besiedelung

Bakterien unterscheiden sich in ihrer Schädlichkeit für uns durch verschiedene Eigenschaften. Manche haben die Fähigkeit, auch ohne Sauerstoff leben zu können, was ihnen die Vermehrung unterhalb des Zahnfleischrandes (in den Zahnfleischtaschen) ermöglicht.

Es gibt Arten, die sich besonders gut an der Zahnoberfläche anlagern und festsetzen können und dann anderen Bakterienarten die weitere Anlagerung erst ermöglichen.

Andere Bakterienarten sind starke Säureproduzenten, welche durch ihre Stoffwechselprodukte die Zahnoberfläche schädigen und auflösen können.

Es geht also bei der entzündlichen Ursache der Parodontitis (und auch bei der Karies) immer um die Bakterien, welche sich auf den Zahnoberflächen anlagern, dort organisieren und im Verbund mit anderen Arten zu einer sogenannten Plaque heranwachsen. Unschädlich und nebensächlich sind dagegen die Bakterien, die frei im Mund „herumschwimmen“.

Was genau ist Plaque?

Die Plaque ist ein Biofilm, so wie er auch zum Beispiel in einem haushaltsüblichen Siphon am Waschbecken zu finden ist.

Diese Biofilme sind hochentwickelte Lebensgemeinschaften, welche es den Bakterien ermöglichen, untereinander zu kommunizieren, ihre besonderen Fähigkeiten zur Geltung zu bringen und sich durch schützende Außenhüllen gegen körpereigene Abwehrmaßnahmen abzuschotten.

So eine Plaque braucht im Mund circa 24 Stunden, bis sie beginnt, ihre schädlichen Auswirkungen zu entfalten und kann nur mechanisch von den Zähnen entfernt werden. Spüllösungen und sogar Antibiotika sind leider nicht in der Lage, die Schutzhüllen des Biofilms komplett zu durchdringen und die Bakterien abzutöten.

Stoffwechselprodukte und Teile von abgestorbenen Bakterien gelangen aus der Plaque an und in das umliegende Zahnfleischgewebe und nun kommt es stark darauf an, wie das jeweilige individuelle Immunsystem des Menschen auf diese Fremdkörper reagiert.

In eher seltenen Fällen werden diese Stoffe vom Immunsystem einfach toleriert. Das Immunsystem reagiert also nicht oder kaum darauf. Dann kommt es trotz eigentlich schädlicher Bakterienbesiedelung kaum zu Entzündungen.

Wenn eine Entzündung unausweichlich ist

Bei den meisten Menschen jedoch wird das Immunsystem nun so richtig aktiv. Es versucht, die Fremdkörper zu eliminieren und ruft dazu alle verfügbaren Kräfte herbei.

In der Folge kommt es zu einer starken Durchblutung des Zahnfleisches. Abwehrzellen wandern zu dieser Stelle hin und Flüssigkeit tritt aus den kleinen Blutgefäßen in Richtung des betroffenen Gewebes aus. Es kommt zu einer Gewebeschwellung und –Rötung und bei Berührung blutet es relativ leicht. Die Entzündung ist entstanden.

Leider schaffen es die Immunabwehrzellen jedoch nicht, ausschließlich die Fremdkörper und die Bakterien zu bekämpfen. Sozusagen als „Kollateralschaden“ kommt es dabei auch zum Absterben von Gewebezellen, wodurch bei der Parodontitis die zahntragenden Gewebe geschädigt und teilweise abgebaut werden.

So kommt es zu einem fortschreitenden Verlust an Knochen und Wurzelzement, was dem Patienten oft erst dann auffällt, wenn das darüber liegende Zahnfleisch „zurückgeht“ oder die Zähne „länger werden“.

Bei entsprechend großem Verlust an Stützgewebe werden die Zähne schließlich locker, beginnen zu wackeln und sind dann oft auch nicht mehr zu retten. Mit dem Verlust des Zahnes hat das Immunsystem schließlich auch die Entzündung beseitigt.

Um es noch einmal ganz klar zu sagen: nicht die Bakterien bauen den Knochen ab! Es ist unsere eigene Körperabwehr, welche den Knochenabbau aktiv betreibt. Diese wird im Falle einer bakteriellen Infektion lediglich von den Mikroorganismen in Gang gesetzt.

 

Wenn Bakterien sich organisieren 

Nun sagen viele Patienten: „Ich putze mir doch schon jeden Tag zweimal die Zähne! Was soll ich denn noch machen?“

Sie sind frustriert weil sie sich bei der Zahnpflege Mühe geben und trotzdem krank geworden sind, also eine Parodontitis entstanden ist.

In der Regel wird eine handelsübliche Zahnbürste oder elektrische Zahnbürste zum Reinigen der Zähne verwendet. Mit diesen ist es möglich, die Außenflächen der Zähne und auch die Kauflächen weitgehend von der bakteriellen Plaque zu befreien.

Sie meinen, das sei doch gut?

Tests haben allerdings ergeben, dass genau diese Flächen sogar fast ganz von alleine sauber werden, wenn wir essen und dabei auch festere Nahrungsbestandteile zerkauen. Die Nahrung schabt dann über diese Zahnflächen und entfernt die bakteriellen Beläge ähnlich gut wie eine Zahnbürste.

Weiterhin ist es Fakt, dass mehr als 90% der Plaque in den Zahnzwischenräumen sitzt. Die Bakterien können dort ganz unbehelligt von jeder Zahnbürste über Jahre hinweg überleben und chronische Entzündungen unterhalten.

Der Knochen baut dann hier zuerst ab. Das bleibt meist unbemerkt, weil es nicht weh tut, nicht von außen sichtbar ist und es natürlich auch nicht blutet – denn die Zahnbürste berührt das entzündete Gewebe ja nie, weil sie dort schlicht und ergreifend nicht hingelangt.

Erst wenn der Knochenabbau zwischen den Zähnen schon ein größeres Ausmaß erreicht hat, wird auch der Knochen im für uns sichtbaren Bereich betroffen und die Veränderung dann auch für den Patienten erkennbar.

Manchmal ist auch das Zahnfleisch an den sichtbaren Zahnflächen von der Entzündung betroffen. Das ist dann der Fall, wenn die Zahnhälse – also der Teil des Zahnes, der direkt am Zahnfleischrand liegt – beim Zähneputzen regelmäßig nicht erreicht werden oder die Entzündungen aus den Zahnzwischenräumen, quasi von innen heraus, bereits auf die Außenseiten der Zähne übergreifen.

Zahnfleischbluten und Mundgeruch – mehr als lästig

Dann kommt es auch beim Zähneputzen oft zu Blutungen. Leider denken viele Patienten, der Grund für das Bluten sei das zu kräftige Scheuern mit der Zahnbürste und vermindern in der Folge noch ihre Zahnpflegebemühungen, was den Bakterien natürlich weitere „Nahrungsquellen“ eröffnet.

Was viele Patienten nicht wissen: Zur Erzeugung einer Blutung an gesundem Zahnfleisch müsste man sich schon akute Verletzungen, wie Schnitte und Kratzer, beibringen.

Die Zahnmedizin geht davon aus, dass etwa 60 Prozent aller Menschen mit den Problemen einer Parodontitis zu kämpfen haben.

Oft entsteht dabei ein unangenehmer Mundgeruch und die Patienten neigen gern dazu, die Ursache dafür einem kranken, entzündeten Magen zuzuschreiben, der wiederum von zu viel Stress käme.

Fakt ist jedoch, dass in den allermeisten Fällen der Mundgeruch von den Abfallprodukten der durch die Bakterien zersetzten Eiweiße und Kohlenhydrate, also den chemischen Resten von Nahrung und Körpergewebe, kommt.

Mit der Behandlung der Parodontitis verschwindet dann wie von Zauberhand auch der unangenehme Mundgeruch.

Parodontitis – der gesamte Organismus leidet 

Weshalb ist eine Parodontitis nun so gefährlich? Lassen Sie es uns bildhaft ausdrücken: Wenn man die gesamte entzündliche Gewebsfläche, die im Mund durch eine Parodontitis befallen ist, zusammennähme und sie feinsäuberlich anordnen würde, käme eine Fläche so groß wie ein Handteller eines Erwachsenen heraus.

Und jetzt mal ganz ehrlich: Wer von Ihnen würde eine solch große entzündete Wundfläche unbehandelt lassen? Über Jahre hinweg?

Es ist einleuchtend, dass die Bakterien und deren Stoffwechselprodukte über diese große Entzündungsfläche und durch die angrenzenden Blutgefäße in den Blutkreislauf gelangen können und sich von dort praktisch im ganzen Körper verteilen.

Das Immunsystem hat dann nicht nur lokal – also im Mund, an der Entstehungsstelle der Entzündung – sondern auch systemisch, also im ganzen Körper, mit den Bakterien zu kämpfen.

So ist es nachvollziehbar, dass inzwischen direkte Zusammenhänge zwischen einer Parodontitis und Allgemeinerkrankungen ernsthaft diskutiert werden.

Wissenschaftler und Ärzte gehen davon aus, dass entzündliche Lungenerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, lebensbedrohliche Herzbeutelentzündungen und Frühgeburten in Verbindung mit Parodontitis-Erkrankungen merklich häufiger auftreten beziehungsweise einen dramatischeren Verlauf haben.

Gründe genug, finden wir, eine entzündliche Parodontitis nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Dass wir das nicht tun und wie wir eine effektive Parodontitisbehandlung in unserer Praxis durchführen, erfahren Sie in den vier Folgen Teilen dieser fünfteiligen Serie.