• Zahnärztliche Honorare im Vergleich der Zeit

Aus der Zeit gefallen: Der Mythos vom lukrativen Privatpatienten

Sind Kassenpatienten in der Zahnarztpraxis weniger erwünscht als Privatpatienten?

Die Überschrift ist natürlich etwas provokant gewählt. Jedoch sind falsche Vorstellungen über die angeblich viel höheren Zahnarzthonorare, und wie Zahnärzte diese berechnen, bei Privatpatienten weit verbreitet.

Dieser Artikel soll daher etwas Licht in das für Laien undurchsichtige Dickicht bringen und diesen Mythos, soviel sei schon mal verraten, endgültig ins Reich der Märchen verabschieden.

Ich bemühe mich, dabei nicht zu sehr ins Detail zugehen und dennoch die – zugegebenermaßen – komplizierte Honorarabrechnung der Zahnärzte, verständlich zu machen.

Das Deutsche Krankenversicherungssystem – ein Buch mit 7 Siegeln

Ein Privatpatient sagte neulich zu mir: „Sie bekommen für meine Behandlung doch schon das 2,3fache dessen, was Sie für eine Kassenbehandlung bekommen. Warum muss der Steigerungssatz bei mir denn nun NOCH höher sein?“

Das hat mich doch ein wenig ins Grübeln gebracht – nämlich darüber, wie wenig die Patienten über das Deutsche Krankenversicherungssystem wissen und wie diese Zahnarzthonorare berechnen.

Die privatzahnärztliche „Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ)“ ist ein ganz eigenes Abrechnungskonstrukt für zahnärztliche Leistungen. Sie hat rein gar nichts mit dem „Einheitlichen Bewertungsmaßstab (BEMA)“ zu tun, der in der kassenzahnärztlichen Abrechnung bei gesetzlich versicherten Patienten angewendet wird.

Jeder zahnärztlichen Leistung wird in der GOZ eine Anzahl von Punkten zugeordnet. Diese wird mit dem aktuell gültigen Punktwert multipliziert, sodass dann ein Geldbetrag herauskommt.

Der Steigerungsfaktor 2,3 soll hierbei die durchschnittliche zahnärztliche Leistung abbilden. Bei schwierigeren/aufwändigeren oder auch einfacher durchführbaren Maßnahmen soll der Faktor entsprechend nach oben oder unten angepasst werden.

Hingegen gibt es im BEMA ein festgesetztes Zahnarzthonorar für jede Leistung. Dieses kann vom Zahnarzt nicht verändert werden.

Anachronismus bei der Abrechnung der Zahnarzthonorare 

Während die Honorare der gesetzlichen Krankenversicherung jedes Jahr an die veränderten Wirtschaftsbedingungen angepasst – also erhöht – werden, ist das in der privaten GOZ überhaupt nicht der Fall.

Ich habe hierzu zwei aktuelle Artikel gefunden (Ausschnitte):

„Gebührenordnung: Aus der Zeit gefallen, vom 06.05.2022, von Dr. Helge David

Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2022. Die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) gilt unverändert seit dem 1. Januar 1988.

Mehr als eine Generation von Zahnärztinnen und Zahnärzten haben sich in der Zeit in ihren wohl verdienten Ruhestand verabschiedet. Doch eines soll wohl ewig währen: der GOZ-Punktwert. Er liegt seit über 34 Jahren bei 11 Pfennig.

Jüngere Zahnärztinnen und Zahnärzte werden sich kaum an die alte Währung erinnern. Der Euro erblickte am 1. Januar 2002 als Bargeld das Licht der Öffentlichkeit. Pfennig heißt jetzt Cent.


Anmerkung von mir: Der Punktwert liegt nun bei 5,624 Cent – also weiterhin der gleiche Wert wie 11 Pfennig.

Und das hier von der Homepage der Bundeszahnärztekammer:

„Ein Mauerfall, eine Wiedervereinigung und eine neue Währung, neun Gesundheitsminister, fünf US-Präsidenten und sogar drei Päpste hatten wir seit 1988.

Geblieben ist lediglich der GOZ-Punktwert für die Bewertung privatzahnärztlicher Leistungen, der seit 1988 unverändert bei 11 Pfennig liegt.

Denn seit 30 Jahren weigert sich der Gesetzgeber, diesen Punktwert in der Gebührenordnung für Zahnärzte anzupassen.

Die Bundeszahnärztekammer hat eine fokussierte Aufklärung gestartet, um die Entscheidungsträger daran zu erinnern, dass Preise von 1988 nicht der Maßstab für die Preise von heute sein können.

Im Mittelpunkt steht eine „11 Pfennig“-Münze, symbolisch für einen Punktwert, der aus der Zeit gefallen ist.

In den Zahnarztpraxen arbeiten hochqualifizierte Menschen, die sich engagiert um ihre Patienten kümmern. Sie haben mehr verdient als eine Vergütung auf der Basis von 1988.

Zeit der Nichtanpassung des GOZ-Punktwertes aktuell: 34 Jahre und 5 Monate. Die geltende GOZ trat am 01.01.1988 in Kraft, ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten wäre eine erste Evaluation notwendig gewesen.

GOZ Punktwert: seit 1988 unverändert!

Das glaubt Niemand, dem man es erzählt, aber leider stimmt es. Stellen Sie sich vor, es hätte bei den allgemeinen Lohnerhöhungen seit drei Jahrzehnten keinerlei Anpassungen gegeben. Lohnniveau auf dem Level von 1988, trotz jährlicher Inflationsrate. Undenkbar.

Das Problem betrifft nicht nur die Menschen, die in und von der zahnmedizinischen Praxis leben, sondern auch die Privatpatienten.

Wenn die Kosten einer Zahnarztpraxis, wie Gehälter, Energie, Investitionen, etc., die seit 34 Jahren gestiegen sind, eben nicht mehr in dem damals angedachten Rahmen abgedeckt werden können, müssen diese über höhere Steigerungsfaktoren an die Patienten weitergegeben werden.

Da die vertraglichen Verpflichtungen der privaten Krankenkassen aber nach wie vor gültig sind, bekommen die Privatpatienten, und insbesondere die Beihilfe-Versicherten, eben auch deutlich weniger Erstattung!

Die Versicherungen sparen hier also zu Lasten der Privatpatienten, welche die höheren Kosten zunehmend selber tragen müssen.

Hinzu kommt, dass die Beiträge zu den privaten Krankenkassen ständig steigen.

Würden die Punktwerte und somit die Zahnarzthonorare an die inflationär gestiegenen Preise angepasst, wie in vielen anderen Branchen auch, müssten auch die privaten Krankenkassen und Beihilfen mehr erstatten.

Lesen Sie hierzu auch diesen interessanten Artikel eines Kollegen.

Zahnarzthonorare und die Inflation

Um die Abwertung der GOZ-Honorare in über 34 Jahren greifbar zu machen, möchte ich die Steigerungsfaktoren einmal inflationsbereinigt gegenüberstellen.

Die durchschnittlich aufwändige zahnärztliche Leistung sollte 1988 mit dem Faktor 2,3 berechnet werden. Um heute auf das gleiche Zahnarzthonorar wie damals zu kommen, müsste der Zahnarzt ALLE durchschnittlich aufwändigen Leistungen mit dem Faktor 4,37 berechnen.

Das ist in der GOZ aber so einfach gar nicht machbar, da der Zahnarzt für jede Überschreitung des 2,3-fachen Satzes eine Begründung angeben muss.

Und diese Begründung muss in der Behandlung selbst liegen. Sie darf also nicht auf die seit 34 Jahren regelmäßige eintretende Inflation von mittlerweile 89,9% bezogen sein!

Weiterhin muss jede Überschreitung des 3,5-fachen Satzes VOR der Behandlung mit dem Patienten schriftlich vereinbart werden.

Diese sogenannten Abdingungen nach §2 der GOZ werden mangels Alternative in den Zahnarztpraxen nun immer mehr verwendet. Und führen zu immer höheren Eigenanteilen, auch der privat versicherten Patienten.

1988 konnte der Zahnarzt mit entsprechender Begründung zum 3,5-fachen Satz steigern. Um heute das gleiche Zahnarzthonorar berechnen zu können, müsste der Satz bei 6,65 liegen.

Sie sehen schon, wo das hinführt…

Direkter Vergleich bei den Zahnarzthonoraren zwischen BEMA und GOZ

Die zuvor beschriebene Gesamtsituation führt heute dazu, dass viele Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung inzwischen besser bezahlt werden, als nach der privaten Gebührenordnung.

Oder anders gesagt: man muss bei vielen Privatleistungen inzwischen einen recht hohen Steigerungsfaktor ansetzen, nur um auf das entsprechende Honorar der gesetzlichen Gebührenordnung zu kommen.

Zur Erinnerung: ab 2,3-fach muss aber inhaltlich behandlungsbezogen BEGRÜNDET werden.

Am Ende dieses Artikels finden Sie ein paar Beispiele der Bundeszahnärztekammer vom April 2021 (also auch schon etwas „veraltet“), in der die unterschiedlichen Vergütungen GOZ versus BEMA gegenübergestellt werden.

In der letzten Spalte der Tabelle finden Sie den erforderlichen Steigerungssatz der jeweiligen GOZ-Leistung, der nötig wäre, um das Zahnarzthonorar gemäß BEMA berechnen zu können. Dieses „Kassenhonorar“ ist in der vorletzten Spalte als Euro-Betrag angegeben

Abschließende Anmerkungen zum kassenzahnärztlichen Abrechnungssystem

Beide Abrechnungssysteme, also BEMA und GOZ, haben ihre Schwächen und Stärken. Viele zahnärztliche Leistungen sind im BEMA gar nicht beschrieben und müssen daher nach der GOZ berechnet werden.

Aufgrund der seit 33 Jahren nicht erfolgten Punktwertanpassung in der GOZ bleibt dem Zahnarzt oft kein anderer Weg, als die Steigerungsfaktoren weit über den 3,5-fachen Satz anzuheben. Und dies vor der Behandlung mit dem Patienten zu vereinbaren.

Natürlich sind auch weiterhin viele Leistungen in der GOZ besser bewertet als im BEMA – aber es werden immer weniger.

Änderungen durch politische Maßnahmen sind absehbar nicht zu erwarten.

Und, um auf den provokanten Titel des Blogartikels zurück zu kommen: in meiner Praxis sind „Kassenpatienten“ genauso gern gesehen, wie privat Versicherte.

Auch bekommen bei uns alle Patienten die gleichen Behandlungsmaßnahmen angeboten – unabhängig vom Versicherungsstatus. Nur die Abrechnungswege unterscheiden sich systembedingt.

Für den interessierten Leser hier ausführliche Informationen